Querdenken - Oder "Psychologie der Massen" in Aktion
Der Franzose Gustave Le Bon war ein französischer Mediziner und Soziologe, der 1911 mit der Veröffentlichung von "Psychologie der Massen" den Versuch unternahm, gesellschaftliche "Massen" nachvollziehbar zu erklären. In dem Werk sammelt er Beobachtungen und Herleitungen, wie Massendynamiken Ereignisse wie die Französische Revolution ermöglicht haben. Basierend auf seinem Werk soll hier versucht werden, die aktuellen Probleme der allgemeinen Kommunikation in Deutschland verständlich und nachvollziehbar zu machen und warum wir Querdenker so nicht erreichen.
Was sind Massen?
Unter bestimmten Umständen, und nur unter diesen Umständen, besitzt eine Versammlung von Menschen neue, von den Eigenschaften der einzelnen, die diese Gesellschaft bilden, ganz verschiedene Eigentümlichkeit.
Mit diesen Worten beschreibt Le Bon eine psychologische Masse. Dabei sind Massen nicht exklusiv oder andere einnehmend, sondern formen sich stets unter besagten "Umständen". So kann man beispielsweise vormittags der Masse der frustrierten Lohnarbeiter eines Großkonzerns angehören, aber abends der Masse der Fußballfans des BVB. Dabei müssen Massen nicht physisch an einem Ort zusammenkommen. Es reicht, wenn sie eine "seelische Einheit" bilden.
Das Besondere an Massen ist, dass die einzelnen Wünsche, Bedürfnisse und Persönlichkeiten der Mitglieder sich dem Gemein-Empfinden der Masse unterordnen. Während ein einzelner Mensch noch differenzierte Ansichten hat, lösen sich diese in psychologischen Massen komplett auf, vorausgesetzt diese "Differenzierung" ist nicht Eigenschaft dieser Massenseele selbst.
Warum funktioniert die aktuelle Kommunikation für Massen nicht?
Nach Le Bon sind Massen komplett unfähig, logischen Argumentationen zu folgen. Selbst die beste Darlegung von Argumenten ist Massen in der Regel völlig unzugänglich. Dies mag verwirrend sein, da in direkten Gesprächen mit einzelnen Menschen dies allgemein als der beste Weg angesehen wird, Menschen zu überzeugen. Wie aber bereits erwähnt, lösen sich Differenzierungen und persönliche Empfindungen in Massen völlig auf.
Auch wenn Querdenker heutzutage nur manchmal physisch an einem Ort vereint sind, sind sie, wie bereits erwähnt, als Masse einzustufen. Der aktuelle Konsens, möglichst viele Menschen von der Impfung zu "überzeugen" oder Querdenkern mit Logik zu begegnen, ist daher oft zum Scheitern verurteilt, bevor es versucht wurde.
Le Bon stellt in seinem Werk heraus, dass es sehr wohl Wege gibt, Massen zu lenken. Sie bestehen aus 3 Schritten:
- Die Behauptung
Eine Behauptung stellt den Ursprung einer Idee dar, um eine Masse von etwas zu überzeugen. Sie muss dabei keinerlei Beweise beinhalten, im Gegensatz, umso bestimmter sie ist, umso eindringlicher. Eine Behauptung wäre beispielsweise "Wir leben in einer Diktatur" oder "Der HSV ist der beste Fußballverein der Welt". Oft sind Beweise sogar hinderlich, da sie die Eindeutigkeit der Aussage verwässern. - Die Wiederholung
Hier beginnt die eigentliche Überzeugung. Durch kontinuierliche Wiederholung setzen sich diese Behauptungen im Unterbewusstsein fest. Derartige Mittel der Kognition sind heutzutage gut belegt. Durch diesen Effekt im Gehirn sind auch mit der Zeit logische Vorbehalte nicht mehr relevant. Le Bon gibt hier ein einfaches Beispiel: Wenn wir hundertmal die Anzeige eines Schokoladenherstellers sehen, dass seine Schokolade die beste sei, dann bilden wir uns nach einer Zeit ein, diese Aussage oft gesehen & gehört zu haben und gehen durch die schiere Menge an Anzeigen davon aus, dass dies stimmen muss/ schon stimmen wird. Mit der Zeit verschwimmt nämlich immer mehr die Wahrnehmung und die Aussage des Herstellers, "Meine Schokolade ist die beste" wird zu "Diese Schokolade ist die beste". Wichtig ist noch anzumerken, dass hier nur entgegengesetzte Informationen die Macht haben, die Einprägung im Unterbewussten zu verhindern, aber auch das nur in ausreichender Wiederholung. "Behauptung und Wiederholung allein sind mächtig genug, um einander bekämpfen zu können". - Die Übertragung bzw. Ansteckung
Sofern eine Behauptung oft genug und einstimmig wiederholt wird, verwandelt sich die Idee in eine "geistige Strömung". In diesem Stadium ist es vor allem die Masse selbst, die die Idee bzw. Aussage weiterträgt und den Teilhabern einprägt. Auch spielt Nachahmung eine Rolle, denn wenn genug Menschen einer Masse bestimmte Idee tragen und vermitteln, nehmen weniger integrierte Mitglieder diese auf und reproduzieren sie. Hier erwähnt Le Bon: "Nicht mit Beweisgründen, sondern durch Vorbilder leitet man die Massen"
Wenn man dies mit der allgemeinen Kommunikation heutzutage vergleicht, fällt auf, dass stets betont wird, dass die Wissenschaft die Beweise liefert, nach denen die Politik entscheidet. Das Problem, das diese Kommunikation mit sich bringt, ist offensichtlich: Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, differenziert zu sein. Beweise sind oft nicht so eindeutig und allgemein gültig, wie es wünschenswert wäre. Etwas, was nach den 3 genannten Schritten eher hinderlich ist, um Massen zu überzeugen.
Kritik an der wissenschaftlichen Methode
Aus heutiger Sicht, besonders wenn man erst vor kurzem eine größere wissenschaftliche Arbeit geschrieben hat, ist Le Bon's Werk sehr unwissenschaftlich. Seine Argumentation basiert meist auf Beispielen, von denen es laut ihm "etliche" gibt. Als objektiv beschreibt er sein Werk, weil es rein auf "Beobachtungen" basiert. Es wirkt schon ein wenig komisch, da nur in wenigen Ausnahmen Quellen zitiert werden und keine selbst erhobenen statistisch relevanten Experimente o.ä. erwähnt werden.
Das hinterlässt den Beigeschmack, dass zwar alle seine Aussagen stimmen könnten und sich augenscheinlich auch viel in unserer aktuellen Situation wiedererkennen lässt, aber dies kein Beweis im wissenschaftlichen Sinne ist. Die Gefahr sich von den "Erkenntnissen" aus diesem Buch täuschen zu lassen ist daher hoch ("Oh ja, das sehe ich aktuell auch so", Stichwort Confirmation Bias).
Man sollte dieses Werk (und somit auch diesen Text) eher als Interpretation einer Theorie sehen, die in sich sehr schlüssig ist, wissenschaftlich aber durch das Werk selbst nur schlecht belegt ist. Mit aufwendiger Recherche ließen sich vermutlich viel mit Kognitionswissenschaften, psychologischen und soziologischen Statistiken belegen, aber das sei denjenigen überlassen, die die nötigen Vorkenntnisse in den Forschungsfeldern haben.
Was können wir daraus lernen?
Auch wenn die aktuelle Kommunikation um das Coronavirus logisch und rational ist, sie erreicht eine ganz bestimmte Masse nicht: die Querdenker. In gewisser Weise kann man sie bestimmt dafür verurteilen, kein intrinsisches Interesse an Fakten und logischen Schlussfolgerungen zu haben. Andererseits können wir es uns nicht erlauben, diese Masse von Menschen deswegen zu ignorieren. Le Bons Beobachtungen zum Massenverhalten sprechen für sie und gegen uns. Während Querdenker sagen "Ihr werdet durch die Impfung sterben", legen wir Ihnen Statistiken aus, "dass nur eine ganz kleine Zahl unter bestimmten Umständen potenziell tödliche Hirnvenenthrombose entwickeln".
Das mag zwar alles stimmen, ist aber keine massentaugliche Behauptung, wird noch oft genug wiederholt und die Masse der Geimpften überträgt ihr Wissen nicht von sich aus genug. Viele sind mehr mit Ihren eigenen Problemen beschäftigt oder müde, sich zu wiederholen. Und das ist nachvollziehbar. Aber wenn wir nicht wenigstens überlegen, wie wir die Kommunikation anders gestalten können, sodass die Querdenker zumindest genug gegensätzliche Informationen erhalten, dann laufen wir Gefahr, dieses Problem nicht in den nächsten Jahren zu lösen. Le Bon lieferte bereits vor über 100 Jahren einen Erklärungsansatz für Massenpsychologie, die das Potenzial hat, mit allen Massen zu kommunizieren.